13 Europa-Vertreter

Beckenbauer hatte experimentiert, in Ditmar Jakobs einen neuen Abwehrchef aufgeboten und auch Matthias Herget und Wolfgang Rolff erstmals eine Chance gegeben. Das kostete den Gruppensieg, und nun ging es laut Bild-Zeitung „zur Strafe in die Hölle“. Die lag in Monterrey, dem niedrigsten Spielort dieser WM mit der höchsten Luftfeuchtigkeit (80 Prozent). Und der Gegner war Marokko, nur auf dem Papier der leichteste unter den Gruppensiegern. Die Dänen bekamen es nun mit Spanien zu tun und sollten das bitter bedauern. Auch Uruguay rettete sich ins Achtelfinale und heimste beim 0:0 gegen die unglücklichen Schotten einen traurigen WM-Rekord ein: Batista flog schon nach 50 Sekunden wegen Foulspiels vom Platz. Die Schotten fuhren zum vierten Mal in Folge nach der Vorrunde heim, diesmal ohne Tragik. Sie hatten es einfach nicht verdient und erbeuteten nur einen Punkt und ein Tor.

Europa hatte dennoch zehn seiner 13 Vertreter ins Achtelfinale gebracht. Ab jetzt gab es nur noch Sieger und Verlierer, und von dieser Brisanz waren die folgenden Spiele geprägt. Die Rückkehr zum alten Modus bewährte sich: 26 Tore fielen in den acht Begegnungen, und so manche Prognose war das Papier schon nicht mehr wert, auf dem sie geschrieben worden war.

Im fantastischen Spiel - vielleicht sogar dem besten der ganzen WM - warfen die zuvor eher biederen Belgier den Geheimfavoriten UdSSR aus dem Rennen, nach Verlängerung hieß es in Leon 4:3. Hinterher erklärte man sich die Sensation des Achtelfinales damit, dass die Russen während ihrer zehntägigen Spielpause aus dem Rhythmus gekommen seien, während die Belgier nach nur drei Tagen Pause quasi noch gar nicht abgekühlt waren. Sie hatten sogar die Kraft, in der Verlängerung, die nach einem 2:2 nötig geworden war, auf 4:2 davonzuziehen. Igor Belanov war der tragische Held beim Verlierer, seine drei Tore nutzten nichts.

Noch unglaublicher war der Spielverlauf in Queretaro, wo Dänemark auf Spanien traf. Die Dänen waren die Attraktion der Vorrunde und hatten im Ex-Kölner Preben Eljkaer-Larsen einen Mann, der zum WM-Star taugte: Er erzielte vier Tore. Aber gegen Spanien erlebten sie ein Fiasko. Trotz Führung gingen sie 1:5 unter, während auf der anderen Seite ein Stern aufging: Emil Butragueno, genannt "der Geier", machte das Spiel seines Lebens und erzielte vier Tore für die entfesselten Spanier. Piontek nahm es sportlich: "So sind wir Dänen eben. Bei uns muss man mit allem rechnen, wir sind eben nicht tierisch ernst."

Programmgemäß verlief dagegen der Auftritt Brasiliens, das Polen mit 4:0 wegfegte. Die Polen verbuchten zwar vor der Pause zwei Lattentreffer, aber nach dem 1:0 durch Socrates' Elfmeter brachen sie regelrecht ein. Zico kam erst, als alles gelaufen war, holte aber noch einen Elfmeter heraus - und Guadalajara sah eine Party in Blau und Gelb.

Wie viel mühsamer war dagegen Argentiniens Sprung ins Viertelfinale, gegen den alten Rivalen Uruguay sprang nur ein 1:0 heraus. Das Aus der Uruguayer, die für ihr Verhalten (zwei Platzverweise in der Vorrunde) 25.000 Schweizer Franken zahlen mussten, wurde allgemein kaum bedauert.

In Mexiko City wurde derweil der Weltmeister beerdigt. Italien unterlag Frankreich, besser Platini, mit 0:2. Ausgerechnet der in Turin spielende Franzosen-Kapitän erzielte das erste Tor und bot eine grandiose Leistung, Stopyra besiegelte Italiens Aus. Seit 1962 war jeder Titelverteidiger vor dem Finale ausgeschieden, nun wieder. Weltmeister-Trainer Enzo Bearzot quittierte die erste Niederlage gegen Frankreich nach 66 Jahren so: „Ein schwarzer Tag für den italienischen Fußball.“ Nur fünf Weltmeister von 1982 waren übrig geblieben, Paolo Rossi saß verletzt auf der Tribüne. Experten hatten wenig Mitleid mit der „Altherrenriege“ (Bobby Charlton) in Azurblau.

Deutschland rutscht ins Viertelfinale

Die Deutschen waren am 17. Juni auch nicht jünger, gegen Marokko lief erstmals Kapitän Rummenigge von Beginn an auf, und somit standen nun sechs Spieler in der Elf, die den 30. Geburtstag schon hinter sich hatten. In der Hitzeschlacht von Monterrey, einer Stadt, die drei Monate keinen Regentropfen gesehen hatte, rettete den Vize-Weltmeister schließlich ein Jungenstreich: Lothar Matthäus, damals 25, schnappte sich in der 88. Minute den Ball zum Freistoß und schoss aus 30 Metern ins Tor. Die Heimat atmete auf, die Verlängerung blieb den Deutschen erspart. Als der Ball hinter dem armen Zaki Badou einschlug, war es in Deutschland 1.45 Uhr.

Held Matthäus lieferte zwei Versionen von seinem Tor. Vor den Kameras wollte er "eine schmale Lücke gesehen haben", seiner Frau Sylvia aber gestand er: „Eigentlich wollte ich den Ball ja über die Mauer heben, aber ich bin ausgerutscht.“ So also rutschte Deutschland ins Viertelfinale, und dort wartete der Gastgeber. "Um am Samstag an gleicher Stelle gegen die Mannschaft des Veranstalterlandes Mexiko bestehen zu können, bedarf es allerdings einer ganz anderen Leistung", mahnte der Kicker.

Die Gastgeber hatten Bulgarien, das auch im 16. Versuch daran scheiterte, ein WM-Spiel zu gewinnen, 2:0 geschlagen. Negrete hatte mit einem artistischen Seitfallzieher das – bis dahin – schönste Tor der WM erzielt und die Literaten unter den Journalisten animiert: „Oh, du dicker Vater, Mexiko! Negretes Tor war ein Kunstwerk“, schrieb die Zeitung Esto. „Mexiko – ein Land im Delirium“ stellte Corriere dello Sport fest, denn nach jedem Erfolg der Elf von Bora Milutinovic wurde ausgelassen gefeiert - und auf den Rängen brandete „La Ola“ auf. Es heißt, die Mexikaner hätten die Welle erfunden, jedenfalls hatten es die Gäste aus aller Welt noch nie gesehen. Der Kicker sprach vom „Markenzeichen mexikanischer Begeisterung“. Begeisterung machte sich allmählich auch bei den Engländern breit, die erneut 3:0 gewannen – diesmal gegen Paraguay –, und Lineker stockte sein Tore-Konto auf fünf auf.

Die Probleme im deutschen Lager waren noch immer nicht ausgestanden. Am 21. Juni musste Beckenbauer den überehrgeizigen Uli Stein nach Hause schicken, dem einige despektierliche Äußerungen über den Teamchef zum Verhängnis geworden waren. Dass er mit drei weiteren Spielern den Zapfenstreich um drei Stunden überzogen hatte, was angeblich auch an einem Taxifahrer lag, machte das Maß voll. Schon gegen Marokko hatte Stein auf der Tribüne gesessen, da er Beckenbauer gesagt hatte: „Ich kann mich mit meiner Rolle als Nummer zwei nicht abfinden, ich bin keine Nummer zwei.“ Rivale Schumacher bezeichnete Steins Abreise als „Erleichterung“.

Noch 20 Spieler ab dem Viertelfinale

Zuvor war bereits der verletzte Olaf Thon abgereist - somit verblieben noch 20 Mann für das Unternehmen Titelgewinn. Und wieder wählte Beckenbauer gegen Mexiko eine neue Aufstellung: Andy Brehme kehrte zurück und verstärkte die Defensive. Da Völler verletzt ausfiel und man Mexiko offensiv erwartete, spielten nur zwei Stürmer. Wieder saß die Nation ab Mitternacht vor dem Fernseher und hoffte auf einen Sieg - zu Recht. Nach 120 Minuten in der Hitze von Monterrey, es wurden 36 Grad gemessen, retteten sich zehn Deutsche nach Bertholds Platzverweis (65. Minute) ins Elfmeterschießen. Hier wurde Schumacher zum Helden der Nation und erfüllte Völlers Prophezeiung („Du hältst zwei Dinger, sonst fresse ich meine Schuhe“). Die Deutschen verwandelten alle Elfmeter, und Schumachers Zimmerpartner Pierre Littbarski schoss Mexiko aus seinem eigenen Turnier - woraufhin Beckenbauer in der Kabine Champagner servierte.

Ausgerechnet der auf den WM-Titel fixierte Schumacher hatte Mitleid: „Ich konnte mich nicht überschwänglich freuen. Ich wusste, wie wichtig ein mexikanischer Sieg für das Publikum gewesen wäre. Im Kopf hatte ich noch die Bilder von der unvorstellbaren Armut, draußen vor dem Stadion. Fußball gleich Hoffnung. Ein Ersatzerlebnis. Das alles hatten wir den Leuten nun genommen.“ Gegen die Armut tat der DFB an Ort und Stelle etwas: Egidius Braun gründete in Queretaro die Mexiko-Hilfe zugunsten von Straßenkindern und Waisen, und Rudi Völler zahlte spontan 5000 D-Mark ein. Noch heute hilft die DFB-Stiftung Egidius Braun regelmäßig im mittelamerikanischen Land.

Für ihr Spiel bekamen die Deutschen weniger Beifall. „Nur wenn Beckenbauer neue Wege beschreitet, er sich endlich zu mehr Mut überwindet, kann die Nationalmannschaft zu der Leistungssteigerung finden, die alle herbeisehnen“, analysierte der Kicker das nervenaufreibende Geschehen von Monterrey. Immerhin hatte die Mannschaft aber seit über drei Stunden kein Tor mehr kassiert und sich um Jakobs und Förster eine Abwehr gefunden, gegen die den Gegnern wenig einfiel. Bertholds Platzverweis sprengte den Verbund nun, und so war man im Halbfinale wieder zu Änderungen gezwungen. Dort kam es zur Wiederauflage von Sevilla 1982, denn die Franzosen hatten sich in einem tollen Spiel ebenfalls im Elfmeterschießen gegen Brasilien durchgesetzt.

Die FIFA schrieb in ihrem Abschlussbericht: „Dieses Spiel hat wahrlich keinen Verlierer verdient – beide Mannschaften zeigten einen hochklassigen Fußball.“ Michel Platini hatte an seinem 31. Geburtstag Carecas Führung ausgeglichen, und auch nach 120 Minuten stand es 1:1, weil Zico drei Minuten nach seiner Einwechslung einen Elfmeter verschoss. Das wiederfuhr im grausamen Nachspiel vom Kreidepunkt noch zwei weiteren Brasilianern, so dass Platinis Fehlschuss folgenlos blieb.

12.000 Brasilianer in Guadalajara fielen in Depression, und wieder wurde aus Rio de Janeiro berichtet, dass Menschen auf offener Straße Weinkrämpfe erlitten hätten. Neben Tele Santana trat auch Zico frustriert zurück: "Das war das Ende einer Ära, eine Spielergeneration tritt ab." Eine, die so viel versprochen und doch nichts gewonnen hatte. Die FIFA schrieb in ihrem offiziellen Abschlussbericht: „Die Liebhaber von Dynamik, Spiel und Spaß bedauerten das Ausscheiden.“ Frankreich aber war über Nacht zum WM-Favoriten geworden, und „France Football“ rief euphorisch die „französische Revolution“ nun auch auf dem Fußballplatz aus.

Maradonas Solo-Traumtor

Im anderen Halbfinale traf Argentinien auf Belgien. Auch deren Siege hatten für Gesprächsstoff gesorgt, über ein Tor sprechen die Menschen noch heute. Im brisanten Duell der einstigen Kriegsgegner Argentinien und England schlug der Star dieser WM, Diego Maradona, die Fairness mit Fäusten. Einen Querschläger vor dem englischen Tor boxte er mit der Hand vor Peter Shilton ins Tor, da er mit dem Kopf nicht mehr ran kam. Sein schlitzohriges Geständnis ist heute Legende: „Es war die Hand Gottes und der Kopf Maradonas!“.

Doch nur die Engländer konnten ihm an diesem Tag böse sein, den Rest der Welt versöhnte er schon drei Minuten mit einem Sololauf über 40 Meter, der zum Tor des Jahrhunderts gewählt wurde. Die geschockten Engländer kamen durch Gary Lineker nur noch auf 1:2 heran, womit sie immerhin den Torschützenkönig dieser WM stellen sollten.

Der König der WM aber trug ein blaues Trikot. France Football analysierte treffend: „Mit gerade einmal 25 Jahren ist Maradona auf dem Gipfel seines Könnens angekommen und trägt eine argentinische Mannschaft, die weder gut noch schlecht ist.“ Wieder hatte das Azteken-Stadion ein Spiel gesehen, über das man noch Jahrzehnte sprechen würde.

Das letzte Viertelfinale zwischen Belgien und Spanien konnte da nicht ganz mithalten, aber auch Puebla sah ein Drama, das mit 1:1 in die Verlängerung und dann ins Elfmeterschießen ging. Das entschied der cleverere Torwart: Bayern Münchens Jean Marie Pfaff zog dich dreimal die Stutzen hoch und band sich zweimal die Schuhe, ehe Eloy anlaufen durfte – Pfaff hielt, und Belgien stand kurz danach erstmals in einem WM-Halbfinale.

Traum der "Roten Teufel" endet im Halbfinale

Dort aber war der Traum der "Roten Teufel" zu Ende, auch sie mussten die Überlegenheit Maradonas anerkennen. Argentiniens Superstar erzielte beide Tore des Tages und erwarb sich damit schon vor dem Finale eine Gedenktafel im Aztekenstadion. Dort waren seit 1970 auch die Deutschen für ihr Jahrhundert-Spiel gegen Italien verewigt worden. 1986 hatte man noch kein Spiel für die Ewigkeit von der DFB-Auswahl gesehen, und vor der Revanche mit Frankreich waren sie Außenseiter. „Wir sind besser als 1982, die Deutschen aber sind schwächer als damals. Man braucht sich nur ihre Spiele hier in Mexiko anzusehen, dann weiß man Bescheid“, tönte Frankreichs Luis Fernandez, der nicht zu den Sieben gehörte, die schon das Drama von Sevilla erlebt hatten.

Wieder einmal aber sollte es anders kommen. Beckenbauer hatte an diesem 25. Juni nur eine Veränderung vorgenommen: Wolfgang Rolff kam allein mit dem Auftrag, Michel Platini zu neutralisieren, für Rot-Sünder Berthold hinein. Und doch spielte eine ganz andere Mannschaft, 24 Millionen ARD-Zuschauer waren begeistert. Plötzlich kombinierten sie, waren mutig und strahlten in jeder Phase aus, dass sie ins Finale wollten. Erstmals gingen sie bei dieser WM vor der Pause in Führung. Franzosen-Torwart Joel Bats war dabei behilflich gewesen und ließ Brehmes Freistoß in die kurze Ecke durchrutschen. Achtzig Minuten verteidigte die deutsche Elf den Vorsprung, dann schloss Joker Rudi Völler einen Konter zum erlösenden 2:0 ab. Es war der verdiente Lohn für das bisher beste Spiel in Mexiko, und wieder mal hatte die deutsche Elf an der Legende von der Turniermannschaft gestrickt: zäh, unbequem, diszipliniert, steigerungsfähig und bis zum Schluss dabei.

Der Kicker lobte: „Endlich Mut und Angriffselan. Endlich kam zum kämpferischen Engagement auch da spielerische Element.“ Deutschlands Traum war wahr geworden, zum fünften Mal hatten sie das Endspiel erreicht – mit einer Mannschaft, der man noch immer keine Lorbeerkränze wand. „Man kann nicht gerade behaupten, dass Deutschland ein gutes Team hat. Aber wir haben nach dem 0:1 unseren kühlen Kopf verloren“, sagte Platini und trat enttäuscht zurück.

Heimat voller Optimismus

Im deutschen Lager fand eine spontane Siegesfete statt. Etliche Spieler maskierten sich mit Sombreros, eine Mariachi-Kapelle spielte auf und Briegel sang ein deutsches Volkslied mit leicht modifiziertem Text: „Aber eins, aber eins, das ist gewiss, auch Argentinien hat vor Deutschland Schiss!“ Und die Heimat war voller Optimismus. Bundeskanzler Helmut Kohl gratulierte telegrafisch und bestieg die Regierungsmaschine nach Mexiko City. Vor dem Finale erschien Kohl im Speisesaal und verteilte an die Spieler 20 silberne Brieföffner „für die viele Fan-Post, die Sie in der Heimat erwartet“.

Am Tag davor gewannen die Franzosen im Gegensatz zu 1982 das kleine Finale, schlugen Belgien mit 4:2 und machten sich doch ebenso wie ihr Gegner für die Abschaffung des Spiels um Platz drei stark. „Das Spiel ist überflüssig wie ein Kropf, da treffen zwei desillusionierte Mannschaften aufeinander“, sagte Belgien-Trainer Guy Thys.

Wie anders war dagegen die Erwartungshaltung am 29. Juni in Mexiko City, wo 117.000 Zuschauer den neuen Weltmeister sehen wollen. Die Mehrheit war für Argentinien, dessen Fans den weit kürzeren Anreiseweg hatten. Das Duell begann um zwölf Uhr Ortszeit, „high noon“ im Azteken-Stadion. Franz Beckenbauer hatte mit Lothar Matthäus seinen „besten Mann“ auf Maradona angesetzt, ganz so wie einst Helmut Schön Beckenbauer 1966 auf Bobby Charlton. Damals ohne Erfolg. Und diesmal?

Nun, es lag weniger an Maradona, der weitgehend ausgeschaltet wurde, dass Argentinien zum zweiten Mal Weltmeister wurde. Vor dem Spiel hatte er noch laut in der Kabine nach seiner Mutter gerufen: „Tota, hilf mir, ich habe Angst!“ In der 19. Minute nahm das Unheil seinen Lauf, als Toni Schumacher an einem Freistoß vorbeifaustete und Brown zum 1:0 einköpfte. „Es war doch mein Finale, ich wollte endlich mal an den Ball“, hat der Torwart später zugegeben, Opfer seines Ehrgeizes geworden zu sein.

Dabei blieb es bis zur Pause ein Finales, das einige Wünsche offen ließ. Nach 56 Minuten schien es entschieden, als Jorge Valdano frei vor Schumacher auf 2:0 erhöhte. Dann kam die 74. Minute, als Andy Brehme die Ecke trat. Der Ball landete über Berthold bei Rummenigge, der endlich sein erstes Tor in Mexiko schoss. Nun kippte das Spiel, das Stadion brodelte und die Deutschen wiederholten ihr Erfolgsrezept: Wieder eine Brehme-Ecke, Eder köpfte in die Mitte zum eingewechselten Rudi Völler – 2:2. Die Stadion-Uhr zeigte 36:29 Minuten an in der zweiten Halbzeit. Noch siebeneinhalb Minuten Zeit bis zur Verlängerung – wie leicht hätten die Deutschen sie erreichen können.

Aber sie wollten die Entscheidung, sofort. Weit rückten sie auf, nur einer nicht: Hans-Peter Briegel. Da zerschmetterte ein Geistesblitz von Diego Maradona alle Hoffnungen. Der Kapitän schickte Burruchaga auf die Reise, Briegel hob das Abseits auf, und zwei Argentinier rannten auf Schumacher zu. „Toni, halt den Ball“ rief ZDF-Reporter Rolf Kramer noch flehentlich, aber es war nicht Schumachers Tag – 2:3, das Aus! „Zu lange gejubelt haben wir, in der Euphorie des Ausgleichs keinen kühlen Kopf bewahrt. Wir fühlten uns dem 3:2 näher als die Argentinier, das war der verhängnisvolle Fehler“, jammerte Rummenigge.

Aber niemand bezweifelte, dass Argentinien verdienter Weltmeister geworden war in Mexiko, wo der Stern Diego Maradonas heller denn je leuchtete. Er überstrahlte eine WM, die wie 1970 ab dem Achtelfinale einige unvergessliche Spiele erlebte – und dennoch trotz überragender Angreifer (sie erzielten 60 Prozent aller Tore) auch den niedrigsten Torschnitt überhaupt (2,54). Die Stadien waren nicht so voll wie gewünscht (42.600 im Schnitt), aber die FIFA machte einen Riesengewinn von über 71 Millionen Schweizer Franken. Und vor den Fernseh-Geräten saßen insgesamt 13,5 Milliarden Zuschauer – also ein Vielfaches der Weltbevölkerung. In Mexiko wurde der Fußball endgültig zur Weltmacht.

Die deutsche Mannschaft war wieder auf dem Weg dahin. Sie wurde auf dem Frankfurter Römer euphorisch empfangen, und Franz Beckenbauer sagte: „Diesen Vizetitel schätze ich höher ein als den Weltmeistertitel 1974 im eigenen Land.“ Es sollte noch einer hinzukommen.