Tor des Kölners Munteanu wird nicht gegeben

24 Spiele waren "Les Bleues" ungeschlagen und L'Equipe befand. "Wie die Häuptlinge - Die Euro perfekt begonnen." Für die Rumänen war sie nach dem zweiten Spiel schon zu Ende, im Balkan-Duell reichte ein frühes Stoitchkov-Tor zu 1:0 für die Bulgaren. Aber nur, weil ein glasklares Tor des damaligen Kölners Dorinel Munteanu übersehen wurde. Der Ball sprang einen guten Meter hinter die Linie, doch der dänische Schiedsrichter Peter Mikkelsen ließ weiterspielen. Das Nicht-Tor von Newcastle löste wieder Forderungen nach dem TV-Beweis aus - und Rumäniens Heimreise.

"Aus! Der Schiedsrichter hat das beste Tor der EM nicht gesehen", schrieb Romania Libera. Die UEFA schmetterte den rumänischen Protest mit dem Hinweis auf die Unantastbarkeit der Tatsachenentscheidung ab - aber wohl fühlte sich dabei niemand. In dieser Hinsicht erwies es sich von Vorteil, dass die Balkanländer nur von wenigen Fans begleitet wurden und diese Partie nur 19.107 Besucher (Minusrekord) verfolgten.Ausschreitungen blieben aus, wie überhaupt an nahezu allen Turniertagen.

Frankreich gelingt die Revanche und schickt Bulgarien nach Hause

Die Entscheidung über das Weiterkommen wurde im vierten Gruppenspiel in Leeds vertagt, nach dem 1:1 zwischen Frankreich und Spanien hatten beide Westeuropäer noch eine Chance - und Bulgarien, das Frankreich den Weg zur WM 1994 verbaut hatte durch ein Last-Minute-Tor in Paris. In Newcastle nutzten die Franzosen die Chance zur Revanche (3:1), hilfreich war dabei ein unfassbares Kopfball-Eigentor von Luboslav Penev. So endete die große Ära der Generation Letchkov und Stoitchkow auf banale Weise ruhmlos. "Bulgarien nahm Abschied, Frankreich nahm Rache", schrieb eine bulgarische Zeitung. Noch eher schied übrigens der Schiedsrichter aus, der Engländer Gallagher musste wegen einer Wadenverletzung in der 28. Minute ausgewechselt werden.

Im Parallelspiel machte es Spanien gegen die schon ausgeschiedenen Rumänen ein weiteres Mal spannend. Joker Guillermo Amor schoss erst in der 84. Minute das erlösende 2:1, das er fix zum "wichtigsten Tor meiner Karriere" erklärte. Trainer Javier Clemente erlaubte ihm zum Dank, sein am Vortag geborenes Baby zu sehen und gestattete ihm zwei freie Tage in Barcelona.

DFB-Team wird Favoritenrolle gerecht

In Gruppe C, gemeinhin als die schwerste tituliert, fielen die meisten Tore (17) und in Buchmacher-Favorit Deutschland hatte sie den erwarteten Sieger. Dass sich im ersten Spiel jedoch die beiden Finalisten gegenüberstanden, wagte niemand zu behaupten. Die Quote für einen tschechischen Turniersieg lag bei führenden englischen Buchhändlern bei 66:1, für Deutschlands Sieg lautete sie 4:1.

Die Favoritenrollen waren also eindeutig verteilt, als es am 9. Juni im Stadion Old Trafford zu Manchester endlich los ging. Bundestrainer Berti Vogts hatte seine Elf gefunden und nicht die mindeste Ahnung, dass er sie in allen Spielen würde ändern müssen. Klar war nur, dass der im letzten Qualifikationsspiel gesperrte Klinsmann, den Stefan Kuntz ersetzte, ins Team rücken würde. Den gleichsam gesperrten Steffen Freund vertrat der Bremer Dieter Eilts - so gut, dass er unverzichtbar wurde.

Aber es gab immer neue Baustellen. Schon nach 13 Minuten musste sich Vogts wie bereits 1992, als Völler zur Pause des ersten EM-Spiels ausschied, einen neuen Kapitän suchen. Der Kaiserslauterer Pavel Kuka war unglücklich auf Jürge Kohlers Knie gefallen - Innenbandriss, Heimflug. Weil Klinsmann noch fehlte, bekam der Karlsruher Thomas Häßler für 75 Minuten die Binde.

Die Geste tat ihm gut, nach der Pokalfinalniederlage des KSC in Berlin war der sensible "Icke" in einem Stimmungstief. Den "besten Defensivspieler Europas" (Vogts über Kohler) konnte und sollte der kleine Dribbler natürlich nicht ersetzen und so erhielt Bayerns Markus Babbel seine Chance.

Der künftige Teamkollege Mario Basler saß da schon auf gepackten Koffern. Wegen einer Trainings-verletzung musste der Noch-Bremer ebenso wie Kohler, nur ganz ohne Einsatz, nach dem ersten Spiel abreisen. Das Bedauern hielt sich in Grenzen; in Interviews hatte Basler Stimmung gegen Häßler und Möller gemacht und den Mannschaftsrat im Team-Quartier zu Mottram Hall zu einer Sondersitzung veranlasst.

"Selten ist eine deutsche Mannschaft so gut in ein Turnier gestartet"

Trotz alledem hatte der Vize-Europameister in England keine Startprobleme. Schon nach 32 Minuten war die Partie gelaufen. Christian Ziege und Andy Möller hatten einen 2:0-Vorsprung herausgeschossen, der bis zum Abpfiff hielt. "Selten ist eine deutsche Mannschaft so gut in ein Turnier gestartet", jubilierte Vogts, während der stets mahnende Sammer den Finger hob: "Wir müssen mit dem Erfolg kritisch umgehen." Die meiste Kritik erntete der englische Schiedsrichter Mister Elleray, der gleich neun Gelbe Karten (im Verhältnis 5:4 für Deutschland) zückte. Weniger die UEFA-Vorschrift, dass ein Team ab vier Verwarnungen 10.000 DM Strafe zahlen müsse, als die Gefahr durch Sperren erregte Vogts: "Er hat ja schon beim Ausholen Gelb gezeigt. Der einzige, der keine Gelbe Karte hatte, war ich."

Im zweiten Spiel kam Italien in Liverpool zu einem 2:1-Erfolg über die Russen, die nun auch ganz offiziell Russland hießen. Pierluigi Casiraghi von Lazio Rom schoss beide Tore der Squadra Azzura und bekam blumige Schlagzeilen wie "Casiraghi erlegt den russischen Bären" (Corriere della Sera). Das las sich angenehmer als die Häme, die die Italiener für den Umbau der Kabinen ihres Trainingscamps ernteten, das mit neuen Spiegeln und Fönanlagen ausgestattet wurde und das Bild von den eitlen Schönlingen wunderbar nährte. Wehe, der Erfolg bliebe aus. Trainer Arrigo Sacchi wusste schon vor der Abreise: "Entweder ich werde auf mein kahles Haupt geküsst oder es werden Tomaten darauf landen."

Arrigo Sacchi verpokert sich

Nach dem zweiten Spiel lagen die Tomaten schon griffbereit in den Händen der Tifosi, denn Italien unterlag in Liverpool den Tschechen 1:2. Sacchi hatte sich offenbar verpokert. Fünf Änderungen gegen den vermeintlich leichtesten Gegner wurden bitter bestraft. Auch 1996 bereits war Fußball keine Mathematik, zumal wenn man unberechenbare Spieler hat. Nachrücker Luigi Appolloni sah nach zwei Grätschen noch vor der Pause die Ampelkarte. In Unterzahl war das schon nach 32 Minuten hergestellte 1:2 nicht mehr aufzuholen. "Sacchi stürzt uns in Schwierigkeiten - Italien zahlt für alle seine Wechsel", wütete die Gazetta dello Sport.

Tschechien aber witterte Morgenluft. Für den ehemals großen Bruder war dagegen schon alles vorbei, als die zweite Partie abgepfiffen wurde. Auch mit ihnen hatten die Deutschen in Old Trafford kein Erbarmen. Das 3:0 fiel zwar sicher um ein Tor zu hoch aus, vor der Pause musste Andy Köpke einige Heldentaten vollbringen. Einmal rettete auch der Pfosten. Erst als sich Matthias Sammer, der die Libero-Position neu interpretierte - als Libero vor der Abwehr - in den Angriff einschaltete, kippte das Spiel. Seinem Tor (56.) ließ Rückkehrer Klinsmann ein Zaubertor folgen, wie es ihm nur wenige zutrauten. Mit dem Außenrist schlenzte er den Ball von der Strafraumgrenze aus vollem Lauf in den Winkel (77.). Vogts war verzückt: "In dieser Art und Weise treffen nur große Spieler." Sein zweites Tor, nach Vorlage von Stefan Kuntz, war gewöhnlicher (90.), aber auch hochwillkommen. Andy Möller lobte seinen Kapitän: "Er ist der Mittelstürmer schlechthin." "Klinsmanns Tore die halbe Miete zum Gruppensieg", titelte der Kicker. Dabei war noch nicht mal das Weiterkommen sicher. Bei einer Niederlage gegen Italien und einem hohen Tschechen-Sieg gegen schon ausgeschiedene Russen wären selbst sechs Punkte nicht genug.