Flick: "Müssen in der Lage sein, das Spiel zu dominieren"

Was macht erfolgreiches Spiel aus? Welche Handlungen bedingen Sieg oder Niederlage? Was war gut, was war schlecht? DFB-Sportdirektor Hansi Flick spricht im zweiteiligen Exklusivinterview auf DFB.de über 2015 und 2016 – und über die neue Spielauffassung im DFB. Im ersten Teil liegt der Schwerpunkt auf seinen Reisen als Sportdirektor und der Entwicklung der Leitlinien der neuen Spielauffassung.

DFB.de: Herr Flick, das neue Jahr hat begonnen, was steht für Sie in 2016 als erstes auf der Agenda?

Hansi Flick: Ich fliege am 9. Januar nach La Manga, die U 16 und die U 17 absolvieren dort traditionell ihr Trainingslager. Vor zwei Jahren war ich schon einmal dabei – damals hat es mir sehr gut gefallen. Mir ist die Nähe zu den Trainern, Mannschaften und Spielern sehr wichtig. In den Tagen vor Ort hat man viel Zeit, mit den Spielern zu arbeiten und sich generell auszutauschen. So lassen sich viele Dinge entwickeln. Insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Spielauffassung, die wir im DFB entwickelt haben, ist dies sehr wichtig.

DFB.de: Das neue Jahr beginnt für Sie also wie das alte geendet hat: mit viel Fußball. Im Dezember waren Sie mit der U 18-Nationalmannschaft in Israel, im gesamten Jahr 2015 waren Sie fast ständig bei Turnieren. Haben Sie im Kopf, wie viele Spiele Sie 2015 gesehen haben?

Flick: Nein, keine Ahnung. Das zähle ich nicht mit, genau weiß ich das nicht.

DFB.de: Und ungefähr?

Flick: Es waren schon einige. Ich war viel unterwegs, ich war ja bei allen Turnieren unserer U-Mannschaften vor Ort. Bulgarien, Neuseeland, Tschechien, Griechenland, Chile, dann noch Israel – da kommt schon einiges zusammen. Im Rahmen der U 17-Weltmeisterschaft in Chile habe ich mir alleine 17 verschiedene Mannschaften angeschaut. Das war schon sehr viel Fußball - aber bestimmt nicht zu viel. Und es hat sich gelohnt. Ich konnte mir ein Bild davon machen, wie hoch die Qualität in diesem Alter international ist.

DFB.de: Und?

Flick: Das Niveau ist bemerkenswert. Es war auch zu sehen, dass der Fußball in diesem Alter von einigen Nationen noch unterschiedlich interpretiert wird. Die Mexikaner, die Chilenen, auch einige Afrikaner, die Art des Fußballs wird in diesem Alter noch sehr stark durch ihre Mentalität bestimmt. Für mich hat sich gezeigt: Der Fußball ist global, aber er wird nicht global identisch gespielt. Schon gar nicht im Nachwuchs. Für mich war es sehr interessant, dies zu beobachten und dabei auch die Kleinigkeiten zu registrieren.

DFB.de: Gab es bei der Vielzahl der Mannschaften, die Sie im Jahr 2015 gesehen haben, ein Team, das Sie am meisten beeindruckt hat?

Flick: Die U 17-Mannschaft Nigerias war richtig stark. Ich habe das Team zweimal gesehen. Die Mannschaft ist sehr reif, insbesondere körperlich, aber auch individuell fußballerisch und als Team von der Spielanlage her. Sie sind souverän und verdient Weltmeister geworden. Auch, weil sie über die größte individuelle Klasse verfügt haben. Stürmer Victor Osimhen hat eine beindruckende Konstanz und Ruhe im Abschluss, er hat in jedem Spiel sein Tor gemacht. Die Nigerianer hatten einige wirklich erstaunliche Individualisten, und gleichwohl waren sie als Mannschaft vollkommen intakt.

DFB.de: Sie haben es schon angedeutet: Das Jahr 2015 wurde im DFB - und federführend durch Sie - intensiv dazu genutzt, eine neue Spielauffassung zu erarbeiten.

Flick: Richtig, das war für mein Team und mich ganz zentral.

DFB.de: Wie geht man so etwas an? Wie entwickelt man eine Spielauffassung?

Flick: Wir haben uns zunächst ganz banal gefragt, was ein erfolgreiches Spiel ausmacht. Welche Verhaltensweisen aus welchem Grund erfolgreich sind. Daraus haben wir für die verschiedenen Situationen gemeinsame Grundprinzipien abgeleitet, die wir für ein erfolgreiches Spiel befolgen müssen. Uns war es wichtig, vorab in den Begrifflichkeiten zwischen einer Spielauffassung und einer Spielkonzeption zu unterscheiden.



Was macht erfolgreiches Spiel aus? Welche Handlungen bedingen Sieg oder Niederlage? Was war gut, was war schlecht? DFB-Sportdirektor Hansi Flick spricht im zweiteiligen Exklusivinterview auf DFB.de über 2015 und 2016 – und über die neue Spielauffassung im DFB. Im ersten Teil liegt der Schwerpunkt auf seinen Reisen als Sportdirektor und der Entwicklung der Leitlinien der neuen Spielauffassung.

DFB.de: Herr Flick, das neue Jahr hat begonnen, was steht für Sie in 2016 als erstes auf der Agenda?

Hansi Flick: Ich fliege am 9. Januar nach La Manga, die U 16 und die U 17 absolvieren dort traditionell ihr Trainingslager. Vor zwei Jahren war ich schon einmal dabei – damals hat es mir sehr gut gefallen. Mir ist die Nähe zu den Trainern, Mannschaften und Spielern sehr wichtig. In den Tagen vor Ort hat man viel Zeit, mit den Spielern zu arbeiten und sich generell auszutauschen. So lassen sich viele Dinge entwickeln. Insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Spielauffassung, die wir im DFB entwickelt haben, ist dies sehr wichtig.

DFB.de: Das neue Jahr beginnt für Sie also wie das alte geendet hat: mit viel Fußball. Im Dezember waren Sie mit der U 18-Nationalmannschaft in Israel, im gesamten Jahr 2015 waren Sie fast ständig bei Turnieren. Haben Sie im Kopf, wie viele Spiele Sie 2015 gesehen haben?

Flick: Nein, keine Ahnung. Das zähle ich nicht mit, genau weiß ich das nicht.

DFB.de: Und ungefähr?

Flick: Es waren schon einige. Ich war viel unterwegs, ich war ja bei allen Turnieren unserer U-Mannschaften vor Ort. Bulgarien, Neuseeland, Tschechien, Griechenland, Chile, dann noch Israel – da kommt schon einiges zusammen. Im Rahmen der U 17-Weltmeisterschaft in Chile habe ich mir alleine 17 verschiedene Mannschaften angeschaut. Das war schon sehr viel Fußball - aber bestimmt nicht zu viel. Und es hat sich gelohnt. Ich konnte mir ein Bild davon machen, wie hoch die Qualität in diesem Alter international ist.

DFB.de: Und?

Flick: Das Niveau ist bemerkenswert. Es war auch zu sehen, dass der Fußball in diesem Alter von einigen Nationen noch unterschiedlich interpretiert wird. Die Mexikaner, die Chilenen, auch einige Afrikaner, die Art des Fußballs wird in diesem Alter noch sehr stark durch ihre Mentalität bestimmt. Für mich hat sich gezeigt: Der Fußball ist global, aber er wird nicht global identisch gespielt. Schon gar nicht im Nachwuchs. Für mich war es sehr interessant, dies zu beobachten und dabei auch die Kleinigkeiten zu registrieren.

DFB.de: Gab es bei der Vielzahl der Mannschaften, die Sie im Jahr 2015 gesehen haben, ein Team, das Sie am meisten beeindruckt hat?

Flick: Die U 17-Mannschaft Nigerias war richtig stark. Ich habe das Team zweimal gesehen. Die Mannschaft ist sehr reif, insbesondere körperlich, aber auch individuell fußballerisch und als Team von der Spielanlage her. Sie sind souverän und verdient Weltmeister geworden. Auch, weil sie über die größte individuelle Klasse verfügt haben. Stürmer Victor Osimhen hat eine beindruckende Konstanz und Ruhe im Abschluss, er hat in jedem Spiel sein Tor gemacht. Die Nigerianer hatten einige wirklich erstaunliche Individualisten, und gleichwohl waren sie als Mannschaft vollkommen intakt.

DFB.de: Sie haben es schon angedeutet: Das Jahr 2015 wurde im DFB - und federführend durch Sie - intensiv dazu genutzt, eine neue Spielauffassung zu erarbeiten.

Flick: Richtig, das war für mein Team und mich ganz zentral.

DFB.de: Wie geht man so etwas an? Wie entwickelt man eine Spielauffassung?

Flick: Wir haben uns zunächst ganz banal gefragt, was ein erfolgreiches Spiel ausmacht. Welche Verhaltensweisen aus welchem Grund erfolgreich sind. Daraus haben wir für die verschiedenen Situationen gemeinsame Grundprinzipien abgeleitet, die wir für ein erfolgreiches Spiel befolgen müssen. Uns war es wichtig, vorab in den Begrifflichkeiten zwischen einer Spielauffassung und einer Spielkonzeption zu unterscheiden.

###more###

DFB.de: Worin besteht der Unterschied?

Flick: Die Auffassung drückt allgemein das Verständnis vom Spiel aus und ist somit Grundlage für jede Spielkonzeption. Die Spielkonzeption beinhaltet Strategien und Taktiken für spezifische Spielsituationen, die von jedem Trainer individuell konzipiert werden können und sollen. Deshalb war es unser Ansatz, in der Spielauffassung allgemeine Leitlinien zu erstellen, die für alle Situationen, Mannschaften und Spieler gültig und verständlich sind. Und die übrigens unabhängig von der Entwicklung des Spiels gelten.

DFB.de: Müssen sich aber nicht Strategien und Taktiken dieser Entwicklung anpassen?

Flick: Natürlich. Hier gilt es wieder zu unterscheiden zwischen Spielauffassung und Konzeption. Die Spielauffassung verändert sich nicht, im Gegensatz dazu kann die Spielkonzeption nie starr sein. Sie passt sich - unabhängig von der Auffassung - der Entwicklung des Spiels an oder gibt Entwicklungen vor. Wichtig ist deswegen, zu verstehen, dass die Anpassungen der Spielkonzeption noch nicht zu Ende sind. Das werden sie nie sein, es ist ein stetiger Prozess.

DFB.de: Deutschland ist Weltmeister. Warum benötigt der DFB eine neue Spielauffassung?

Flick: Das ist viel zu kurz gedacht. Es ging darum, ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, warum wir an der einen Stelle erfolgreich waren und an der anderen nicht. Die Ursachen lassen sich dann an den Leitlinien festmachen. In verschiedenen Bereichen des Spiels müssen wir noch besser ausgebildet sein. Wir können noch viele Dinge optimieren.

DFB.de: Zum Beispiel?

Flick: Ganz wesentlich ist, dass wir – insbesondere in der Ausbildung – den Fokus mehr als bisher auf die individuelle Qualität legen. Wir benötigen technisch versierte Spieler, Spieler, die über die Fähigkeiten verfügen, auch unter Druck die besten Lösungen zu finden und umzusetzen.

DFB.de: Bedeutet die Entwicklung der neuen Spielauffassung, dass alle DFB-Mannschaften künftig im gleichen System agieren werden?

Flick: Nein, genau darum geht es nicht. Die Spielauffassung hat mit Systemen nichts zu tun. Uns geht es um Qualität, um Einstellung, um Mentalität, darum, wie wir das Spiel angehen, wie wir Fußball interpretieren. Das wird sich in allen Mannschaften des DFB widerspiegeln, bei den Frauen, bei den Männern, bei den Juniorinnen und Junioren.

DFB.de: Was macht Sie da so sicher?

Flick: Die neue Spielauffassung ist kein Alleingang, kein Solo-Stück von Hansi Flick. Viele Experten haben sich eingebracht, Analysten, Trainerinnen und Trainer, auch Frank Wormuth, der Leiter der Fußball-Lehrer-Ausbildung. Ganz wesentlich zudem die Trainerinnen und Trainer unserer U-Nationalmannschaften. Wir haben dabei einen richtig tollen Teamgeist entwickelt, ich bin stolz darauf, wie jeder Einzelne seinen Input gegeben hat.

###more###

DFB.de: Mit welchem Resultat? Wie sieht die neue Spielauffassung aus?

Flick: Wir haben 17 Leitlinien erarbeitet, von denen wir überzeugt sind, dass sie eine wertvolle Orientierung für unsere Spielerinnen und Spieler und unsere Mannschaften sind.

DFB.de: Geben Sie uns einen kleinen Einblick: Wie sieht so eine Leitlinie beispielhaft aus?

Flick: Wir haben Leitlinien für die Defensive und die Offensive aufgestellt und dazu übergeordnete Leitlinien, die für alle Phasen des Spiels und alle Alters- und Entwicklungsstufen gelten. Dazu gehören Grundsätze wie: Wir wollen den Ball. Oder: Wir gestalten das Spiel zu jederzeit aktiv. Oder: Wir suchen persönliche Duelle – Eins-gegen-Eins-Situationen -, weil wir der Überzeugung sind, diese gewinnen zu können.

DFB.de: Sind das nicht Selbstverständlichkeiten?

Flick: Eigentlich schon, denn das verlangt das Spiel. Aber in der Praxis ist das nicht immer der Normalfall. Wenn man sich den Fußball anschaut, sieht man immer wieder Teams, die abwarten, die dem Gegner den Ball lassen und am Ende dann trotzdem gewinnen. Dies ist dann allerdings dem Zufall oder einer Unachtsamkeit des Gegners geschuldet und weniger selbstbestimmt. Und das wollen wir nicht.

DFB.de: Im DFB wird es also keine Teams geben, die auf Konter setzen?

Flick: Mannschaften, die bewusst aus einem Abwehrpressing heraus agieren und kontern, meine ich damit nicht, denn auch diese sind in der Abwehrzone aktiv, wollen den Ball haben und dann schnell umschalten. Übrigens genau wie eine Mannschaft, die Angriffspressing spielt, nur eben in einer anderen Zone des Spielfeldes und vielleicht auch in einem anderen System. Das ist genau das, was wir in den Leitlinien verankern wollten – system- und spielsituationsunabhängige Gemeinsamkeiten. Im Spiel passiv zu sein und auf den Zufall oder auf die Unachtsamkeit des Gegners zu hoffen, ist nicht unser Ansatz. Wir glauben, dass wir Fußballer ausbilden müssen, die in der Lage sind, das Spiel zu dominieren. Wir wollen den Ball haben – das klingt zunächst simpel, die Aussage hat aber hohen Wert.

DFB.de: Haben Sie weitere Beispiele für Leitlinien der neuen Spielauffassung?

Flick: Zu den übergeordneten Leitlinien gehört: Dass wir die Eins-gegen-Eins-Situationen suchen wollen. Dass wir antizipieren und nicht spekulieren wollen. Auch dass wir uns gegenseitig auf dem Platz coachen wollen. Die gute Kommunikation gehört zu den Schlüsseln. Zu den defensiven Leitlinien zählt, dass wir aus einer kompakten Organisation verteidigen wollen, mit engen Abständen in der Länge und Breite des Spielfeldes.

DFB.de: Gibt es eine Essenz, einen Kern, in den sich die neue Spielauffassung gießen lässt?

Flick: Im Fußball geht es darum, Tore zu verhindern und Tore zu erzielen. Dies bedeutet, in der Defensive Unterzahlsituationen zu vermeiden und in der Offensive Überzahlsituationen entstehen zu lassen. Der Gedanke ist simpel, allerdings ist die Umsetzung komplex. Dafür müssen wir beispielsweise Räume im Rücken des Gegners erkennen und nutzen. Unsere Spieler müssen mit und ohne Ball die Gegner binden, anspielbar sein oder für den Fall des Ballverlustes Zugriff auf den Gegenspieler haben. Wir müssen den Gegner immer wieder fordern, immer wieder vor Entscheidungen stellen. Bis er irgendwann überfordert ist, bis er einen Fehler macht, bis er einen Raum öffnet.

DFB.de: Je besser der Gegner, desto schwerer ist er zu überfordern. Taktisch gut geschulte Mannschaften bieten die Räume nicht an, stellen die Passwege zu. Sind die Qualitäten im Eins-gegen-Eins mehr gefragt, je höher die Qualität des Gegners ist?

Flick: Ja und nein. Es gibt nicht das eine Mittel. Wir können nicht anfangen, gegen Teams wie Italien über 90 Minuten nur ins Dribbling zu gehen. Pässe in die Schnittstellen sind genauso wichtig, das Erkennen von Räumen auch. Wenn eine Mannschaft wenige und nur kleine Lücken anbietet, muss man in der Lage sein, diese Lücken zu erkennen und zu nutzen. Bayern München und Borussia Dortmund erleben das in der Bundesliga Woche für Woche. Und sie machen das richtig gut.

DFB.de: Wie sichtbar wird die neue Spielauffassung bei den künftigen Auftritten deutscher Nationalmannschaften?

Flick: Ich glaube, dass viele Elemente erkennbar sein werden. Der Mut, Eins-gegen-Eins-Situationen zu suchen. Der Mut, sehr frühzeitig kompakt zu verteidigen, die dichte Staffelung, die engen Räume. Wir werden sehen, dass unsere Spieler bei Ballbesitz schon Zugriff auf den Gegner haben, auch wenn dieser 30 Meter in der eigenen Hälfte steht. Auch das erfordert Courage. Und die hat man nur, wenn wir das Vertrauen darin haben, bei einem Konter des Gegners das Laufduell zu gewinnen. Ohne diesen Mut, ist es noch schwieriger, in der Offensive Überzahl zu bekommen.

DFB.de: Wesentlich ist auch, dass der ballführende Spieler den Gegner bindet.

Flick: Wir wollen, dass der Gegner nicht abwarten kann. Wir müssen ihn zu einer Entscheidung zwingen. Und das geht nur, wenn ich mit dem Ball am Fuß nicht in den freien Raum laufe, sondern den Weg zum Gegner suche. Denn nur dann ist er zu einer Entscheidung gezwungen. Weicht er zurück? Geht er drauf? Wenn er zurückweicht, kann ich weiter im Tempo auf ihn zulaufen. Und irgendwann muss er versuchen, mich zu stellen. Dann ist es wichtig, dass unsere Spieler die Qualität haben, an ihm vorbeizukommen oder den besser postierten Mitspieler zu finden und die kompakte Defensive des Gegners durch intelligente Pässe auszuspielen. Durch Pässe mit Botschaften. Diese Gegnerbindung ist ganz wesentlich. Und zwar mit und ohne Ball. Unsere Spieler müssen Spielsituationen antizipieren, sie müssen einrücken, wenn dies sinnvoll ist und einen Gegner mitziehen, wenn sie dadurch Räume schaffen können.

DFB.de: Alle Spieler haben während der 90 Minuten zu jederzeit eine Funktion.

Flick: Ja, ohne Ausnahme. Ansonsten wären sie aus dem Spiel. Und dann hätten sie etwas falsch gemacht.

DFB.de: Aus den Leitlinien ergibt sich neben Initiative, Variabilität und Effizienz als einer von vier wesentlichen Faktoren die Stabilität. Auch im Sinne von Druckresistenz. Bei den U-Turnieren im Jahr 2015 war genau dies mitunter das Manko.

Flick: Ja. Nicht alle konnten mit dem Erwartungsdruck umgehen, das ist die eine Komponente der Stabilität. Die andere Komponente ist der Gegnerdruck auf dem Spielfeld. Wir mussten leider feststellen, dass wir in den Momenten, in denen es richtig wichtig war, die Leistung nicht komplett abgerufen haben. Bei der U 17 war es so, dass wir zu wenig effizient waren, wir haben die Chancen nicht genutzt. Bei der U 21 hatten wir im Halbfinale gegen Portugal beinahe einen kompletten Ausfall. Wir haben das sehr genau analysiert.

DFB.de: Mit welchem Ergebnis?

Flick: Dass wir Drucksituationen viel früher üben lassen müssen. Die Trainingsgestaltung muss wettkampfnaher sein. Pässe im Training müssen unter Druck gespielt werden. Die Ballannahme und -kontrolle muss unter Druck erfolgen.

###more###

DFB.de: Und was ist mit dem psychischen Druck?

Flick: Mit Hans-Dieter Hermann, dem Sportpsychologen der Nationalmannschaft, haben wir uns natürlich auch über den Umgang mit dem psychischen Druck unterhalten. Vieles dabei hängt von der Prägung ab, davon, was die Eltern den Spielern mitgeben. Ich persönlich habe mich, auch in der Kindheit und Jugend, auf die Situationen gefreut, wenn es eng wird, wenn es wichtig wird, wenn es darauf ankam. Die Aufregung war bei mir immer kleiner als die Vorfreude. Diesen Gedanken müssen wir den Spielern vermitteln. Wir wollen Erfolg entwickeln, und dafür müssen wir Spieler zu Persönlichkeiten mit mentaler Stärke formen. Der Wille zum Sieg muss größer sein als die Angst vor der Niederlage – dieser Satz ist nicht neu. Aber er ist richtig.

DFB.de: Die schönste Idee ist nutzlos, wenn sie nicht realisierbar ist. Die neue Spielauffassung setzt voraus, dass Fußballer vorhanden sind, die in der Lage sind, die Spielauffassung umzusetzen. Gute Fußballer.

Flick: Absolut. Deshalb ist die Spielauffassung nur ein Teil in unserer sportlichen Zukunftsstrategie "Unser Weg". Sie gibt vor, was wir auf dem Spielfeld sehen wollen.

DFB.de: Was gehört neben der Spielauffassung zur sportlichen Zukunftsstrategie des DFB?

Flick: Die Ausbildungs- und Trainingsvision. Sie beinhalten, wie wir das, was wir sehen wollen, auch erreichen. Auf Basis der Spielauffassung haben wir die bestehende Ausbildungs- und Trainingsvision angepasst. Wir benötigen noch bessere Spieler, also benötigen wir noch bessere Trainer. Schlüssel für die Ausbildung der Spieler ist die Qualität der Trainer. Aufgabe unserer U-Trainer ist es, dass sie einen Blick für Talente haben. Und ein Gespür dafür, wie diese sich weiterentwickeln können. Dafür sind viele Faktoren wichtig. Die Kommunikation mit den Vereinstrainern, auch mit den Menschen aus ihrem Umfeld, den Eltern.

DFB.de: Sie haben häufig angestoßen, im Fußball vermehrt Spezialtrainer zu etablieren. Technik-Trainer, Taktik-Trainer, Trainer für die Offensive, Trainer für die Defensive.

Flick: In Deutschland gibt es die Torwarttrainer und die Fitnesstrainer, andere Spezialtrainer sind nicht etabliert. Ich glaube, dass dies ein Fehler ist. Und dass sich das ändern wird. Wir hatten mit Marcel Lucassen im DFB einen Technik- und Taktiktrainer, der sich leider für einen anderen Weg entschieden hat. Er war ab dem Bereich U 15 für uns da. Aber wir wollen diese Position künftig wieder besetzen. Und wir wollen, dass wir über diese Position im Verband noch früheren Zugriff zur Talentförderung bekommen. Wir müssen über die Stützpunkte in die Breite wirken. Unser Techniktrainer wird die Stützpunkttrainer fortbilden. Dann können wir einer großen Zahl an Spielern noch früher noch besser die Basics vermitteln. Dann werden die Spieler, die in unseren Nationalmannschaften ankommen, in der Lage sein, unter Druck die beste Lösung zu finden. Und das ist das, was wir in Zukunft wollen.

DFB.de: Sind diese Spezialtrainer notwendigerweise auf den Jugendbereich beschränkt?

Flick: Nein. Dafür müssen wir uns nur die Situation bei der WM in Brasilien anschauen. Wir waren zwei klassische Trainer, Joachim Löw und ich. Dazu Andy Köpke, der als Torwarttrainer noch einmal eine Sonderrolle hatte. Daneben hatten wir vier Fitnesstrainer. Ich bin der Überzeugung, dass sich das Verhältnis künftig ändern wird. Wir werden mehr Trainer haben, die im technischen und taktischen, also dem klassisch fußballerischen Bereich mit der Mannschaft arbeiten. Der Cheftrainer wird mehr in die Rolle des übergeordneten Supervisors rücken. Daneben wird es einen Trainer geben, der für die Defensive zuständig ist, einen für die Offensive. Und wahrscheinlich noch weitere. Einige Klubs sind in diesem Bereich schon aktiv. Hoffenheim und Köln beispielsweise, in der Jugend.

###more###

DFB.de: 2015 stand im Zeichen der Erarbeitung einer neuen Spielauffassung. Was werden Ihre Schwerpunkte im Jahr 2016 sein?

Flick: 2016 stehen drei große Turniere an. Allen voran natürlich die Europameisterschaft mit der A-Nationalmannschaft. Diese Mannschaft ist das Flaggschiff des DFB. Alle im Verband wollen helfen, dass wir in Frankreich erfolgreich sind. Ganz wichtig ist auch die U 19-EM im eigenen Land, in Baden-Württemberg. Es wäre toll, wenn wir den Erfolg, den wir 2014 in Ungarn hatten, bestätigen könnten. Und dann kommen im Sommer die Olympischen Spiele. Sowohl für unsere Frauen als auch für das Team von Horst Hrubesch. Rio wird eine riesige Herausforderung und eine tolle Chance. Wir wollen mit der bestmöglichen Mannschaft antreten, und die Vereine haben signalisiert, dass sie bereit sind, uns dabei zu unterstützen.

DFB.de: Für Sie wird es die Rückkehr nach Rio. Wie emotional wird das?

Flick: Nicht so sehr, glaube ich. Manchmal staune ich in dieser Hinsicht über mich. Für mich ist Vergangenheit Vergangenheit. Mir ist wichtiger, was im Hier und Jetzt passiert und was die Zukunft bringt.

DFB.de: Den Triumph von Rio sehen Sie so nüchtern. Abgehakt - und weiter geht’s?

Flick: Es ist ein wunderbarer Erfolg, den wird uns niemand mehr nehmen. Brasilien ist für die Ewigkeit. Ich bin aber keiner, der ständig die Medaille rausholt und in Erinnerungen schwelgt. Aber natürlich wird Brasilien immer einen riesigen Stellenwert für mich haben. Was sich in diesen vier, fünf, sechs Wochen in der Mannschaft entwickelt hat, das war sensationell, das war schlicht weltmeisterlich. Die Mannschaft hat den Fokus immer enger auf das große Ziel gesetzt, sie ist immer enger zusammengerückt. Sie hat sich von nichts und niemand ablenken und schon gar nicht abbringen lassen. Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte ich das Gefühl: Das muss klappen, das wird klappen. Ein so großes Urvertrauen in eine Mannschaft habe ich zuvor noch nie gespürt. Was wir alle damals erlebt haben, das war herausragend. Die Erinnerung werde ich immer in Ehren halten. Ich bin stolz, ein Teil davon gewesen zu sein.

DFB.de: Wenn Sie über Brasilien sprechen, leuchten Ihre Augen.

Flick: Ja. Aber das darf den Blick nicht trüben. Und schon gar nicht darf es zu Zufriedenheit führen. Und zum Glück ist das bei niemandem im DFB der Fall. Es ist wichtig, dass wir nicht stehen bleiben, es ist wichtig, dass investiert wird, dass in Frankfurt-Niederrad ein neuer DFB entsteht, mit neuen Möglichkeiten in der Akademie. Was auf diesem Weg schon aktuell im Hause des DFB wächst, ist einfach nur überragend. Der Spirit, der bei den Mitarbeitern entstanden ist, die Überzeugung, die Begeisterung für das Projekt des neuen DFB – daran erkennt man, welche Qualität die Mitarbeiter des DFB haben. Und darauf kann der Verband sehr stolz sein.